Deportiert und vertrieben

Ein Beitrag von Eva Assmann (Rudolf Steiner Schule Gröbenzell / München)

Elf Schüler und zwei Lehrer der Gröbenzeller Waldorfschule führen 2008 nach Kasachstan und interviewten dort gemeinsam mit unseren kasachischen Partnern Zeitzeugen der Zwangsdeportationen unter Stalin.

 

Der folgende Projektbericht stammt von SchülerInnen der 9. Klasse. Weiter unten finden Sie einen im Gespräch entstandenen Zeitzeugenbericht abgebildet.

Das Projekt „Deportiert und vertrieben"

deutsche und kasachische Schüler befragen Zeitzeugen zum Verlust der Heimat in und nach dem zweiten Weltkrieg

Das deutsch-kasachische Projekt „Deportiert und Vertrieben" führten wir gemeinsam mit dem Alexander-von-Humboldt Gymnasium N° 12 in Ust-Kamenogorsk durch. Die Zusammenarbeit unserer beiden Schulen geht auf eine Freundschaft der Lehrerinnen Frau Ulrike Gölz (Gröbenzell) und Frau Saule Kabidollina (Ust-Kamenogorsk) zurück.

Nachdem wir uns zusammen mit unseren kasachischen Partnern erfolgreich um eine Förderung durch „Europeans for Peace" und durch den Pädagogischen Austauschdienst beworben hatten, begannen wir die Vorbereitungen. Dabei teilten wir die Arbeit in verschiedene Ressorts, wie z.B. Öffentlichkeitsarbeit, Fotos, Finanzen oder auch Gesamtleitung unter uns auf.

 

Im November 2008

fuhren elf Schüler und zwei Lehrer der Gröbenzeller Waldorfschule nach Kasachstan und interviewten dort gemeinsam mit unseren kasachischen Partnern Zeitzeugen der Zwangsdeportationen unter Stalin. Unter anderem besuchten wir auch das ehemals deutsche Dorf Gerassimovka. Am Ende des zweiwöchigen Aufenthalts präsentierten wir unsere Arbeit in einer zweisprachigen Ausstellung.

Im Verlauf der Arbeit entwickelten alle Beteiligten großes Interesse am weiteren Schicksal der Kasachstan-Deutschen und beschlossen deshalb noch in Kasachstan das Thema für den Rückbesuch der Kasachen zu ändern. Anstatt uns wie geplant den Sudetendeutschen zuzuwenden, beschlossen wir, die Spuren der Kasachstan- Deutschen in Deutschland weiterzuverfolgen und damit den Bogen von der Vergangenheit bis in die Gegenwart zu spannen.

 

Im März 2009

kamen unsere kasachischen Partner dann nach Deutschland. Hier interviewten wir Russland- und Kasachstan-Deutsche und verbrachten ein Wochenende mit jugendlichen Spätaussiedlern aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion in einem Haus des Vereins „Deutsche Jugend in Europa".

Auch in Deutschland dokumentierten wir unsere Arbeit in einer zweisprachigen Ausstellung. Während beider „Projektphasen" führten wir einen zweisprachigen Blog auf der Internetseite unseres finanziellen Unterstützers „Europeans for Peace", in den wir erste Videoclips zu unserer Projektarbeit integrierten. Nach dem Gegenbesuch gestalteten wir im Rahmen unseres Handwerkerhof-Praktikums eine ausführliche Projekt-Broschüre. Darüber hinaus stellte Ferdinand Elhardt, einer der Projektteilnehmer, seine filmische Projektdokumentation fertig, wobei wir ihn tatkräftig unterstützten.

Für beide „Seiten" war der Austausch sehr interessant und erfahrungsreich. Wir erhielten Einblick in eine fremde Kultur und beurteilen jetzt unsere eigene Kultur anders, zum Teil auch kritischer. Das schwere Schicksal der älteren Kasachstan-Deutschen hat uns sehr beeindruckt und wir sehen ältere Menschen jetzt mit neuen Augen. Besonders interessant war es auch, einen Einblick in die Lebenswelt junger Aussiedler in Deutschland zu gewinnen.

 

Im Dezember 2009

wurde unser Projekt mit dem Förderpreis von Europeans for Peace ausgezeichnet. Es wurde wegen seiner besonderen Qualität als beispielhaftes Projekt ausgewählt. Wir fuhren zur feierlichen Preisverleihung nach Berlin und erhielten dort ein Preisgeld von 2000€ erhalten:

www.europeans-for-peace.de

 

Ein Zeitzeugenbericht von Ottilia Dering

Ottilia Dering wurde am 15. März 1932 in Schönfeld (Ukraine) geboren. Als der Krieg anfing war sie 9 Jahr alt.

1939 wurden die Männer aus ihrem Dorf, sowie ihr Vater und zwei Onkel von ihr zur Trud-Armee eingezogen. Sie mussten dort Zwangsarbeiten verrichten. Ihren Vater, ihre Onkel und die anderen Männer sah sie nie wieder. 1941 sollte das gesamte Dorf nach Kasachstan deportiert werden. 13 Familien fanden jedoch in den Viehwägen keinen Platz mehr, unter anderem auch Ottilia Derings Familie. Nun begann die Leidenszeit der Deportationen. Zunächst gelang es der Familie nach kurzer Vertreibung zweimal wieder in ihr Haus zurückzukehren und so lebten sie während des Krieges noch für insgesamt zwei Jahre zu Hause.

1944 wurde Ottilia Dering dann aber mit den anderen Frauen und Kindern nach Polen deportiert. Dort lebte sie mit ihren Eltern und Geschwistern einen Monat in einer Auffangstation. Danach wohnte sie 11 Monate in einer Familie. Nach diesen 12 Monaten in Polen wurden sie nach Weißenfels in Deutschland gebracht. Dort lebte sie weitere 6 Monate in einer Familie und arbeitete für reiche Leute.

Die Deutschen verloren den Krieg und Weißenfels und seine Umgebung wurde von den Amerikanern besetzt. Nach drei Monaten wurde es von den Russen übernommen. Während dieser ganzen Zeit in Deutschland wurde Ottilia Dering und die anderen von der einheimischen Bevölkerung nicht akzeptiert und als „russische Schweine" bezeichnet. Nach weiteren drei Monaten in Weißenfels sagten die Russen, jeder dürfe in seine Heimat zurückkehren. Doch statt Schönfeld kam Ottilia nach Sever, das im hohen Norden Sibiriens liegt. Dort musste sie hart arbeiten und bekam für sehr schwere Arbeit gerade mal 600 Gramm Brot pro Tag.

Sie und ihre Familie verdienten sich Extranahrung durch den Verkauf von Nähgarn. In dieser Zeit von 1946 bis 1948 lebte die Familie unter sehr schlechten Umständen. Ab 1948 wurde die Arbeit dann bezahlt, aber noch bis 1956 musste sie sich jede Woche bei der Kommandatur melden. Erst dann bekamen sie Ausweise. 1959 zog sie zu ihrer Tante nach Kasachstan. Diese war 1941 dorthin deportiert worden.

Auch heute noch lebt Ottilia Dering in Ust-Kamenogorsk und hat hier vier Kinder geboren. Sie fühlt sich als Deutsche und feiert auch die deutschen Feste und Feiertage, wie z.B. Weihnachten, Neujahr und Buß- und Bettag. Trotz ihrer deutschen Herkunft, ihrer Geburt in der Ukraine und ihren vielen Deportationen bezeichnet sie jetzt im Alter Kasachstan als ihre Heimat.

Ihr Kommentar