Mausefallen-Mobil

Ein Beitrag von Christian Imann (Freie Waldorfschule Emmendingen)

ARBEITSAUFTRAG:

„Konstruieren Sie ein Fahrzeug, gleich welcher Art, welches allein durch eine gespannte Mausefalle angetrieben wird.“

Mit diesem begann am 5.11.2007 die Physikepoche zur Mechanik in der 10.Klasse und die zweite Staffel des Mausefallen-Mobil, die am 16.11. 2007 endete.

Der Urquell aller technischen Errungenschaften ist die göttliche Neugier und der Spieltrieb des bastelnden und grübelnden Forschers und nicht minder die konstruktive Phantasie des technischen Erfinders.

Albert Einstein


In der jetzigen zehnten Klasse lernen Schülerinnen und Schüler mit großem Erfindergeist und großer Kreativität. Die Projektidee schien für diese Klasse wie geschaffen in die Tiefen der Mechanik ein- und zu neuen Rekorden und Leistungen aufzusteigen.


Auf diesem kleinen Video sehen Sie, was der Antrieb einer kleinen Mausefalle bei uns alles in Bewegung setzen konnte:

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Projektziele und Rahmenbedingungen

Das Projekt umfasste den Bau, die Dokumentation und Präsentation des Fahrzeugs binnen zwei Wochen. Die Art der Umsetzung und die Wahl der Materialien für das Fahrzeug blieben ohne weitere Vorgaben. Meine Ansprüche an die Dokumentation und Präsentation teilte ich den Schülern mit.

Für einen erfolgreichen Abschluss waren neben vielen anderen Dingen – meiner Erfahrung nach - zwei Dinge unbedingt zu gewähren: Zeit zur eigenen Arbeit und Zeit zum Austausch.

Ich teilte den Hauptunterricht in einen Teil für Einzelbesprechungen mit jedem Schüler nach Bedarf – sowie einen Teil zur Betrachtung jener physikalischen Grundlagen, die zur Planung und zum Verständnis der Funktionsweise eines solchen Fahrzeugs nötig und hilfreich sind.

  • Potentielle Energie
  • Kinetische Energie
  • Hebel und Drehmoment
  • Beschleunigung
  • Haftreibung
  • Gleitreibung
  • Rollwiderstand

 

Projektbeginn

Für das Projekt stand in meinen Augen nicht der Wettbewerb im Vordergrund. Es ging mir um das Forschen und Finden, das Scheitern und Aufstehen. Eine Schülerin äußerte sich zu Beginn, dass sie überhaupt keine Ahnung, keine Vorstellung hätte. Ich ermunterte sie, genau daraus würden die findigsten Lösungen entstehen. Letztlich entwickelte diese Schülerin ein Fahrzeug mit beachtlicher technischer Finesse und überzeugender Leistung.

Ich erwartete, dass viele Schüler unter den gegebenen Stichwort Mousetrap Vehicle, Mousetrap Car, Mausefallenauto googlen würden. Das empfand ich als gut und schlecht gleichermaßen. Viele der gezeigten Lösungen sehen sich ähnlich, doch ich hoffte auf Unkonventionelles, welches – meiner Meinung nach - nur aus der Ratlosigkeit entstehen kann.

In den ersten Gesprächen zeigte sich aber, dass diese Sorge absolut unbegründet war. Die Schüler sahen wohl jene Lösungen, strebten aber selbst nach Originellem, Ausgefallenem, und längst nicht nach dem Weg des geringsten Widerstands. In Einzelfällen wurden gemachte Erfahrungen genutzt, Schwachpunkte jener Fahrzeuge analysiert und zielgerichtet nach Abhilfe gesucht.

 

Papa & Co.

Nicht zu unterschätzen ist die soziale Komponente eines solchen Projektes. Die Schülerinnen und Schüler suchten zielgerichtet die nötigen Experten zu Rate. Das gezielte Aufsuchen und Annehmen fremder Kompetenz gehört für mich ganz klar zu den Fähigkeiten des naturwissenschaftlichen Arbeitens und war daher ganz in meinem Sinne.

Schmunzelnd bemerkte ich, wie hinter den Schülerinnen und Schülern plötzlich Väter, Großväter und studierende Brüder „das Kind im Manne“ entdeckten, ihre Ideen entwarfen, sich der Sache verschrieben. Mit Interesse verfolgte ich bruchstückhaft, welche Befriedigung, aber auch welche Spannungen eine solche Zusammenarbeit entwickeln kann.

Ich erfuhr mit Erstaunen und tiefem Respekt, wie die Schülerinnen und Schüler in der Auseinandersetzung mit jenen Experten „ihr“ Projekt wieder in die Hand nahmen, entgegen einer möglicherweise ausgetüftelten Lösung, die aber nicht die ihre war. Für mich war dies ein deutlicher Beweis für Fähigkeit zur Präzision der eigenen Frage, zur klaren Abgrenzung des eigenen Auftrags an andere.

 

Materialien

Während eines solchen Projektes verschiebt sich für die Schaffenden stets die Wahrnehmung der sie umgebenden Dinge. So ist es nicht verwunderlich, dass CDs und auch die hinterlassene Plattensammlung der Oma als Räder herhalten mussten. Stricknadeln und Nägel werden nunmehr allein als perfekte Achsen betrachtet. Konservendosen, Keyboardabdeckungen, des kleinen Bruders Kipplaster, Bohrmaschinen und Inlineskates – alles wurde zerlegt, recycelt und – im Dienste der Wissenschaft – zweckentfremdet. LEGO, Märklin und Fischertechnik sind alte Bekannte in derlei Projekten und eine feine Zwischenstufe zum fast schon mit Schande eingekauften Kugellager.

 

Durch das Tal

Es lassen sich eine Vielzahl von verschiedenen Arbeitsweisen beobachten. Je nach Neigung arbeiteten die Schüler vorwiegend am Bau und nur marginal an der Dokumentation oder mit Schwerpunkt im Schriftlichen und manchmal mit zu knappem Zeitfenster am Fahrzeug. Viele der Schülerinnen und Schüler stiegen parzifalisch hinab in das Tal der Verzweiflung und stiegen gestärkt wieder auf. Manche Schülerinnen und Schüler erfuhren die Erschöpfung der vom Genius getriebenen Physis. Viele arbeiteten intensiv und unverzagt bis in den späten Abend. Werkzeiten von bis zu 30h in diesen zwei Wochen belegen dies. Manche mussten erkennen, dass das Gewollte nicht erreichbar war und Verzicht üben. Sie schwenkten aber rechtzeitig auf machbare Konzepte um.

Doch startete ausnahmslos jeder der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Renntag mit dem eigenen funktionstüchtigen Fahrzeug. Niemand verzagte auf dem Weg. Selbst jene, die mich an den Tagen zuvor noch sorgten, überraschten mich am Renntag aufs Äußerste mit ihren Leistungen.

 

Auf der Piste

Erst nach den Präsentationen, in denen jede Schülerin und jeder Schüler auf den eigenen Weg zurückblickte, die technische, wie auch persönliche Entwicklung reflektierte, durften die Konstruktionen ihre Stärken ausspielen.

Gestartet wurde in den zwei Kategorien „Wanderratten“ und „Rennmäuse“. Die Fahrzeuge der ersten Liga verfolgen das Ziel, eine möglichst große Distanz zu überwinden. Das Gros der Fahrzeuge ist auf diesen Wettkampf ausgelegt worden. Der Schulflur reichte bei weitem nicht aus, um die Leistungsfähigkeit mancher Fahrzeuge zu ermessen. Fünf Fahrzeuge, die an diesem ersten Renntag das fünfzehn Meter entfernte Ende des Flures berührten, traten in einem nachgeholten Stechen auf dem weit längeren Flur des benachbarten Hermann-Brehmer-Hauses an.

Das Ziel der Rennmäuse hingegen ist, eine Strecke von fünf Metern in möglichst kurzer Zeit zu überwinden. Nur drei der Fahrzeuge starteten in dieser physikalisch anspruchsvollen Kategorie und setzen mit dem Speedster von Valentin Vierhub-Lorenz den Geschwindigkeitsrekord für die kommenden Teilnehmer auf 3,8 sec. fest.

 

Abschluss

Rückblickend bin ich über die Maßen zufrieden mit dem Verlauf dieses Projektes, gewann tiefsten Respekt gegenüber Willen, Kreativität und Ehrgeiz der Schülerinnen und Schüler. Ich war überrascht über die Vielzahl von individuellen und erfolgreichen Lösungen und wurde mit einer Vielzahl von sehr durchdachten Detaillösungen beglückt. Ich bin überzeugt, kombinierte man das Beste der Besten könnte man dem internationalen Weitenrekord von über 100m schon gefährlich nahe kommen.

Die Schülerinnen und Schüler äußerten sich überwiegend positiv, dankbar für die unausweichliche Herausforderung, die Chance sie selbst zu sein. Niemand fragte mehr nach der Bewertung dieser Epoche – und wenn, hätte ich keine Antwort geben können – denn sie schenkten sich selbst den Stolz, die Anerkennung, die Befriedigung.

Mit einem Schmunzeln im Hinterkopf denke ich schon über die nächsten Wettbewerbe nach, denke daran, die Formel Mausefalle, zu erweitern - auf die Formel Gepäckträger und die Formel Wäscheklammer. Bleiben Sie gespannt und mir gewogen.

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