Marktplatz II: Vom Rechnen mit Äpfeln und Birnen

Ein Beitrag von Reinhard Schönherr-Dhom (Klassenlehrer der Freien Waldorfschule Otterberg) und Andreas Brodersen (Praktikant)

Anwendung des Rechen-Unterrichts einer 3. Klasse auf praktische Dinge des Lebens.

Gespannt stehen wir mit der 3 .Klasse an der Bushaltestelle. Als der Linien-Bus kommt, der uns von der Freien Waldorfschule Otterberg ins nahe gelegene Kaiserslautern bringt, ist der Trubel beim Einsteigen groß. Nachdem die Plätze verteilt sind, sitzen die Kinder (und wir) erwartungsfroh im Bus. Wir fahren auf den Wochenmarkt nach Kaiserslautern, und jedes Kind ist ausgestattet mit einer Einkaufstasche, einer Einkaufsliste der Eltern und 10 Euro, und natürlich der Frage „Wie werden die Einkäufe gelingen"?

 

Rechnen in der 3. Klasse         

Nach den Winterferien stand die nächste Rechenepoche an. Der bisher erübte Stoff der vorangegangenen Epochen soll vertieft und erweitert werden. Es sind das kleine Einmaleins weiter zu üben, das stetige Erweitern des Zahlenraums bis Zehntausend, die schriftliche Addition und Subtraktion und das Rechnen mit Maßeinheiten, etwa Euro und Cent sowie Längen- und / oder Zeitmassen werden eingeführt.

Spielerisch nähern wir uns dem Rechnen. Der rhythmische Teil des Unterrichts bietet zahlreiche Gelegenheiten, in das Thema einzusteigen. Wir achten darauf, dass möglichst viele Kinder in Bewegung sind, und sie dabei immer wieder die einzelnen Rechenvorgänge und Ergebnisse rhythmisieren und visualisieren. Einzeln und mit der gesamten Klasse werden Reihen und das 1x1 laut gesprochen. Ein Zahlenteppich von Eins bis Einhundert, Reissäckchen, Seile zum Seilspringen, zahlreiche Klatsch-,  Bewegungs-- und Stuhlkreisspiele erleichtern das spielerische Lernen.

Anspruch an die Rechenepoche ist während des Erübens insbesondere die Anwendung auf einfache, praktische Dinge des Lebens. Der Unterricht soll so nahe wie möglich am wahren Leben stattfinden „Vor allem aber wird geisteswissenschaftliche Durchdringung diese Erziehungskunst so zu gestalten versuchen, dass das Kind in der Zeit vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife ... dazu kommt, eine Vorstellung von dem praktischen Leben zu haben. Jeder einzelne Gegenstand sollte dazu verwendet werden, das Kind hineinzuführen in eine Anschauung über das praktische Leben."(1)

Am Anfang der Epoche beraten wir über diesen Anspruch und stimmen uns zu dem grundsätzlichen Ablauf ab. Dabei verwenden wir einen Impuls, den wir aus dem Waldorf-Ideen-Pool aufgenommen haben, die Veranstaltung eines Marktes in der Klasse. Schnell wird aus diesem Impuls ein kleines Konzept, das wir anhand der Lernfortschritte der Klasse leicht anpassen.

Am Elternabend informieren wir die Eltern über die Rechenepoche, die geplanten Aktivitäten und auch die erwünschte Unterstützung der Eltern bei unseren Vorhaben: Einem Flohmarkt in der Klasse, einem Einkaufen des täglichen Frühstücks für die Klasse und einem Besuch auf dem Wochenmarkt in Kaiserslautern.

Kurz darauf informieren wir auch die Kinder über die geplanten Aktivitäten, und die Frage der Kinder „mit welchem Geld?" beantworten wir mit dem Verteilen von Spielgeld. Daran üben wir in den nächsten Tagen das Wechseln von Euro und Cent und umgekehrt, in dem wir z.B. Wechselstuben mit dem Platznachbarn eröffnen. Über das Kopf- und Kettenrechnen üben wir an der Tafel und in den Heften das schriftliche Addieren und Subtrahieren. Regelmäßig kehren wir zu den Marktbeispielen zurück, um den Kindern die Vertrautheit und die Anwendung des Addierens und Subtrahierens zu ermöglichen.

 

Flohmarkt und Frühstückseinkauf

Vor der Durchführung des Flohmarktes vereinbaren wir mit Kindern und Eltern gewisse Spielregeln. So hat jedes Kind bei dem Flohmarkt maximal 50 Euro Spielgeld, der maximale Preis je Flohmarktartikel ist mit 10 Euro begrenzt, die einzelnen Flohmarktartikel sind mit Preisen ausgezeichnet, und es müssen alle Verkäufe und Käufe in das Übheft notiert werden (um nachher entsprechend anhand des schriftlichen Summierens und Subtrahierens alles nachvollziehen zu können). Zu der Vereinbarung gehört ebenso, dass es einen realen Eigentumsübergang gibt, wir jedoch nicht mit echtem, sondern mit Spielgeld bezahlen.

Kurzfristig wechseln wir vom Klassenraum in den Eurythmiesaal. Flink und motiviert tragen die Kinder die Tische in den Saal und bauen in kürzester Zeit den Marktplatz auf. Je 2-4 Kinder teilen sich ihren Marktstand. Sie entscheiden selbst organisiert, wie sie ihren Marktstand betreiben, wer wann Verkaufen bzw. Einkaufen darf.

Ein reges Treiben durchzieht den Eurythmiesaal und nachdem der Markt offiziell eröffnet ist, sind viele  Kinder schnell beim Einkaufen und Verkaufen dabei. Andere warten zunächst noch ab und überprüfen die Angebote der einzelnen Stände. Mit viel Elan und Ernsthaftigkeit werden die Waren gehandelt, manchmal auch im wahrsten Sinne des Wortes, ähnlich einem Bazar. Das Marktgeschehen erfolgt ohne Eingreifen des Klassenlehrers oder des Praktikanten. Sie agieren im Hintergrund, in dem sie die Bank bzw. Wechselstube betreiben, in der die Kinder Geld tauschen können. Nur selten müssen Lehrer und Praktikant einzelne Kinder unterstützen. Nach gut einer Stunde lässt die Aktivität langsam nach. Alle Kinder sind stolz auf ihre neu erworbenen Artikel und freuen sich über ihre Verkäufe.

Die Kinder notieren  ihre Verkäufe und Käufe in ihr Übheft, und dieses dient in den nächsten Tagen als Vorlage für die weiteren Übungen. Neben dem schriftlichen Addieren und Subtrahieren dient der Flohmarkt auch dem Kopf- und Kettenrechnen. Ganz nebenbei wird durch das Aufschreiben auch dasselbige geübt. Nach dem erfolgreichen Flohmarkt und der Nachbereitung mit den Kindern, planten wir einen  Frühstückseinkauf.

Wir besorgten alle notwendigen Waren für ein Frühstück in der Klasse. Hausaufgabe für die Kinder war sozusagen, dass sie am nächsten Tag KEIN Frühstück mitbringen durften. Alle Frühstückswaren bauten wir gegen Ende des Unterrichts in der Klasse auf, alles war mit Preisen versehen, und für einige Waren mussten wir eine Limitierung vereinbaren, so dass alle Kinder davon etwas kaufen konnten. Da gab es Brötchen, Kaffeestückchen, Obst, aber auch einige Süßigkeiten zu kaufen. Die Kinder konnten sich dann mit dem Spielgeld ihr individuelles Frühstück zusammenstellen und kaufen, dabei natürlich immer wieder selber mitrechnen, die Preise und das Wechselgeld überprüfen. Nach dem (fast) alle Waren verkauft waren, wurde das gekaufte Frühstück in der Klasse gemeinsam gegessen.

Der Flohmarkt und der Frühstückseinkauf dienten als Vorbereitung für das Rechnen mit echtem Geld, unserer nächsten Station.

 

Wochenmarkt in Kaiserslautern

Als weiteren Höhepunkt des Rechnens mit Euro und Cent planten wir einen Einkauf auf dem Wochenmarkt in Kaiserslautern.
Auf dem Elternabend zuvor hatten wir die Eltern darüber informiert, dass sie mit ihren Kindern einen Einkaufszettel für Waren bis ca. 10 Euro vorbereiten, sowie eine Tasche und 10 Euro mitgeben sollten. Eine Begrenzung auf 10 Euro legten wir fest, um u.a. zu vermeiden, dass zu viele Dinge gekauft und damit die Taschen zu schwer würden.

Nach dem Hauptunterricht, fuhren wir mit den Kindern auf den Wochenmarkt nach Kaiserslautern. In einer gemeinsamen Marktrunde erkundigten wir uns zunächst, wo wir welche Waren kaufen könnten, wie groß der Markt ist. Wir legten einen zentralen Platz fest, an dem immer ein Erwachsener als Anlaufstelle diente, und wir erinnerten an die in der Klasse vereinbarten Spielregeln (Marktplatz nicht verlassen, Toilettengänge, etc).

Als es dann losging, fanden sich die Kinder schnell in Kleingruppen zurecht, und flitzten über den Wochenmarkt. Der Enthusiasmus der Kinder übertrug sich auf einige, meist ältere Passanten, sowie auf zahlreiche Marktstände gleich mit, und so war es kurzweiliges und vergnügliches Einkaufserlebnis für alle Beteiligten. Lehrer und Praktikant blieben im Hintergrund, lediglich ab und zu hielten sie die Kinder an, beim Berechnen der Preise mitzurechnen, die einzelnen Preise in ihr Übheft zu notieren und das Wechselgeld zu überprüfen. Schließlich sollte jedes Kind erläutern können, was gekauft wurde, wie viel Geld es kostete und wie viel Geld rechnerisch noch übrig sein musste nach dem Marktbesuch. Auch die Marktbeschicker fanden rasch Gefallen am Tun der Kinder und unterstützten deren Einkaufs- und Rechenbemühungen gerne.

Unsere zentrale Anlaufstelle diente auch als Kommunikations-Marktplatz für das Erzählen der Erlebnisse, die sofort mitgeteilt werden mussten.

 

Geschafft                                                                

Nach und nach kamen die Kinder in ihren Kleingruppen zurück. Die Einkaufstaschen waren gefüllt und die Einkaufslisten waren (zum größten Teil) erledigt. Stolz begannen die Kinder bereits im Bus von den Erlebnissen zu berichten. An welchem Marktstand gab es was zu kaufen? Wo hat man sogar noch etwas dazubekommen? Wer hat noch Geld übrig, und durfte sich noch etwas davon kaufen?

Jedes Kind hatte seine Einkäufe getätigt, konnte selber nachrechnen und nachzählen, und durchlebte so die Anwendung des Rechnens an einfachen, praktischen Dingen des Lebens.

Auf die Frage am nächsten Tag, inwieweit wir das Ganze zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen wollen, können Sie sich die Antwort sicherlich denken - ein klares JA!

 

(1) R. Steiner, Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst, GA 301, Tb 708, S. 220, Dornach 1993

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