Palästina

Ein schmaler Küstenstreifen zieht sich zwischen der Arabischen Wüste und dem Mittelmeer hin; er trägt Syrien und Palästina. Die Länder waren Brücke zwischen zwei Kontinenten, Durchzugsstraße wandernder und kriegführender Völker und deshalb auch mannigfach und unmittelbar mit der überaus reichen altorientalischen Geschichte ihrer näheren und ferneren Umgebung verflochten. Sie waren seit früher Zeit immer der Zankapfel zwischen den Reichen im Niltal und im Zweistromland. Nur in kleinen Stadtstaaten konnten sie die Bewohner zu Gemeinschaften zusammen­schließen und mühsam zwischen den Großmächten behaupten, oft war ihre Unabhängigkeit durch größere Ereignisse der Weltgeschichte beschränkt oder gänzlich aufgehoben.

Eines dieser beiden Länder ist der Schauplatz eines Großteils der Vorgänge der Biblischen Geschichte geworden, nämlich Palästina. Der Name leitet sich sprachlich von den Philistern ab, einem Volke, das im 12. Jahrhundert die südliche Ebene des Küstengebietes besetzte und das die Israeliten pelischtim hießen. Auch die Römer wählten 135 n. Chr. für dieses Gebiet die Bezeichnung provincia Palaestina, und seitdem ist dieser Name bis heute üblich geblieben.

Dieses Gebiet umfasst das südliche Drittel des langgezogenen Gebirgslandes zwischen dem östlichen Rande des Mittelmeeres und der Syrischen Wüste, reicht gegen Osten bis zu den Südausläufern der Höhen des Libanon und Antilibanon und westwärts bis zum Übergang des Kulturlandes in die Steppe und Wüste der Sinaihalbinsel, etwa auf der Breite des Südendes des Toten Meeres.

Ein mächtiger nord-südlich gerichteter tertiärer Graben­einbruch durchzieht das ganze Land. Auf seinem Talgrund schlängelt sich in zahllosen Windungen als silberner Faden der Jordan. Er entspringt am Fuße des Antilibanon und ergießt sich in das Tote Meer. In der Nähe seiner Mündung lag das mit Fug und Recht als die älteste Stadt der Welt bezeichnete Jericho. Die überaus wasserreiche Quelle war der Anlass zur Gründung. Die Höhenunterschiede sind infolge der vielen Bergkämme zuweilen zwischen unweit voneinander gelegenen Orten beträchtlich. So liegt Jericho 250 m unter dem Meeresspiegel, während Jerusalem, nur 37 km davon entfernt, eine Höhe von 750 m aufweist. Das Tote Meer liegt 400 m unter dem Meeresspiegel, ist die tiefste natürliche Einsenkung der Erdober­fläche. Wegen seiner mineralischen Substanzen leben in seinem Wasser keine Tiere.

 

Größte land­schaftliche und klimatische Gegensätze

Der Jordan teilt das ganze Gebiet in Ostjordanland und West­jordanland. Den Westteil trennt eine angeschwemmte, besonders frucht­bare Küstenebene vom Mittelmeerstrand, der von geraden Dünungen abge­schlossen ist. So vereinigt das Land in seinem engen Raum größte land­schaftliche und klimatische Gegensätze, und die verschiedenen Lebensbedin­gungen lockten nicht zu einer gleichmäßigen Besiedlung durch eine ein­heitliche Bevölkerung, noch fassten sie die unterschiedlichen Zuwanderer zu einer Einheit zusammen. Fruchtbare Ebenen mit reichlicher Bewässerung wechseln mit trockener Steppen- und Wüstenlandschaft, schroffe und stark zerklüftete Gebirgsgegenden sind wenig ertragreich und für den Verkehr schwierig. Karge Weiden und armselige Ackerböden kennzeichnen den Ost­abfall des Westjordanlandes. In den wasserreichen und ergiebigen Küsten­streifen schiebt sich mit umbrandeten Klippen der Bergrücken des Karmel ins Meer vor. Zu Füßen breitet sich gegen Norden die fruchtbare Jezreel-Ebene aus; an ihrem Ende die Städte Nazareth und Meggido, die letztere eine der festesten Burgen in alter Zeit. Kein Stück Erde hat so viel Blut getrunken wie der Boden Jezreels; denn nirgends sonst in dem von tiefen und steilen Talgräben zerfurchten, gebirgigen Palästina gibt es eine solche Möglichkeit, große Heerhaufen zur Schlacht zu entfalten. Wichtig für die Bewohner sind die klimatischen Verhältnisse. Palästina hat Anteil am subtropischen Klima, das bedeutet winterliche Regenzeiten und trockene Sommer. Der im Westen des Jordan gelegene Teil zeigt eine meist üppige Mittelmeerflora, während die östlichen Gebiete vorwiegend an der Steppenvegetation Westasiens Anteil haben. Infolge des durchlässigen Kalkbodens und des Fehlens einer dichteren Bewaldung trocknet das Land in den Sommermonaten überaus stark aus. Somit ist die Wasserversorgung von jeher eine wichtige Lebensfrage. Schon in altisraelitischer Zeit sammelte man das Regenwasser in Zisternen, um im Verein mit den spärlichen Quel­len die Gründecke während der Sommermonate zu erhalten. Die Wasser­verhältnisse beeinflussten auch die Verteilung der menschlichen Siedlungen und die Einteilung der Arbeiten im Jahresablauf. Damit fiel, wie schon die Bibel erwähnt, das Erntefest in das Ende der Regenzeit bei Sommer­beginn und das Fest der Einsammlung des Obstes, der Weintrauben, Feigen und Oliven in den Herbstbeginn.

 

Kein Volk der Seefahrer

Trotz der langen Meeresküste auf der Westseite erzog die Seeluft die Bewohner Palästinas nicht zu weitläufiger Seefahrt wie ihre Nachbarn, die Phönizier. Der Hauptgrund mag wohl darin zu suchen sein, dass die Phönizier vorzügliche Häfen hatten, wogegen die gradlinige palästinische Flachküste keine natürlichen Anlegeplätze bot, die zu Seefahrt und See­handel einluden beziehungsweise fremde Schiffer hätte anlocken können.

Ungeschützt und offen ist Palästina nach Osten und nach Süden. Daher war es verständlich, dass die benachbarten Hirtenvölker bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus den Steppen und Wüsten gegen das begehrte Kulturland vorstießen und dort Weideplätze für ihre Herden suchten. Auf diese Weise wanderten kleine Gruppen, aber auch große Stämme im Laufe der Zeit in Palästina ein und erlangten für die Geschichte dieses Landes entscheidende Bedeutung. Außerdem führten die Durch­gangswege für den Handelsverkehr, aber auch für Kriegszüge von Ägypten nach Vorderasien oder umgekehrt notwendigerweise durch dieses Gebiet. Der Menschenzuwachs erschwerte die Lebensverhältnisse. Denn Palästina konnte nur eine Bevölkerung von beschränkter Dichte ernähren, war kein Überschussgebiet, und seine Bewohner mussten stets »im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot essen«. Wenn trotzdem in der Bibel Palästina als ein »gutes Land« gepriesen wird, das »von Milch und Honig fließt«, so kann diese Meinung nur aus dem Vergleich mit der umgebenden Steppenland­schaft entstanden sein.